Als "Verbindung" offen für alle Identitäten - geht das?
Gegenfrage: warum soll das nicht gehen?
O.k., etwas ausführlicher....
Mit dem Bild der "Verbindung" geht üblicherweise ja das Bild von einem reinen Männerkreis einher. Für uns ist es jedoch selbstverständlich, auch auch Frauen und Menschen mit anderen Identitäten aufzunehmen. Und wie wir immer wieder sehen, passt das bei uns sehr gut zusammen.
Für uns als Musische Verbindung Liubicia steht die kulturelle Betätigung im Zentrum unseres Bundeslebens. Sie ist zentraler Grund, warum wir uns zusammengefunden haben und immer wieder zusammenfinden. Und gerade im kulturellen Bereich macht eine Trennung nach Geschlecht, nach Religion, nach ethnischer Herkunft oder sonstigen Gründen keinen Sinn. Aus diesem Grunde ist die Frage, welche Identität ein Mensch hat, der bei uns dabei sein möchte, keine Frage, über die es sich für uns nachzudenken lohnt, weil es egal ist, welche Identität ein Mensch hat. Er*Sie ist ein Mensch und wir wollen per definitionem allen Menschen gegenüber aufgeschlossen sein.
Aber da diese "gemischte Zusammensetzung" unter den Verbindungen immer noch sehr selten ist, ist es vielleicht wirklich sinnvoll, einmal ein paar Worte darüber zu verlieren.
Ein paar Worte zur Geschicht von Frauen in Verbindungen
Warum es ursprünglich nur Männerbünde gab
Das Studium war bis weit ins 19. Jahrhundert ein reines Männerstudium. Auch die Studentenverbindungen an sich sind im (frühen) 19. Jahrhundert entstanden. In sofern konnten sie - zunächst erstmal - gar nichts anderes sein als Männerbünde, denn an den Universitäten gab es eben nur Männer. Und auch die historischen Verhaltenscodices und die inneren Strukturen von Verbindung entstanden in jener Zeit, womit sich auch deren Fixierung auf das Männliche erklärt: die Codices und inneren Strukturen waren auf den Umgang von Männern untereinander ausgelegt, weil es nur Männer an den Univeritäten gab. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert hin kamen nun erstmals Frauen an die Universitäten, auch wenn sie zahlenmäßig lange eine deutliche Minderheit blieben.
Warum mit Beginn des Frauenstudiums keine gemischten Verbindungen entstanden
Aus unseren heutigen gesellschaftlichen Erfahrungen heraus ist man schnell geneigt zu sagen, dass die Verbindungen sich jetzt den Frauen hätten öffnen müssen, auch weil sie im Kern nach auch die Vertretungen der Studierenden gegenüber der Universität waren (StuPas und AStAs gab es erst ab den 1920ern). Für uns heute ist es normal, dass studentische Zusammenschlüsse geschlechts- und identitätsunabhängig sind. Aber wenn man die Argumente für die heutige Zeit auf die Zeit um 1900 übertragen will, dann ignoriert man nur zu leichtfertig die gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit:
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Zum einen waren bestimmte Merkmale nahezu aller Verbindungen (z.B. Stellung zum Alkohol, Stellung zur Mensur) dergestalt, dass sie als "gemeinsame Organisation für Frauen und Männer" hätten dienen können.
- Zum anderen waren die Verbindungshäuser keine öffentlichen Gebäude, sondern waren Privathäuser - und damit galt es als anrüchig, junge Frauen und Männer in derart "intimen Kreisen" (und vor allem "ohne Aufsicht") zusammen zu führen.
- Und nicht nur das, das "Zusammenführen von Frauen und Männern" galt sogar nach § 180 a.F. StGB unter bestimmten Voraussetzungen als "Kuppelei" und war damit strafbar, und das sogar bis 1968 in der DDR und bis 1969 in der Bundesrepublik. Hierfür bedurfte es tatsächlich der gesellschaftlichen Veränderungen der '68er.
Kurz gesagt: eine gemischte Verbindung war selbst für den progressivsten Menschen damals undenkbar.
Warum mit Einführung des Frauenstudiums bereits die ersten Frauenverbindungen entstanden
Sehr häufig vergessen wird zudem auch, dass gemischte Verbindungen gar nicht notwendig waren, sondern es mit den Frauenverbindungen sehr wohl eine Alternative für studierende Frauen gab.
Hierfür ist ist zunächst wichtig zu wissen, dass bis zum Ende des Kaiserreiches die Studentenverbindungen faktisch auch die Vertretung der Studenten gegenüber der Universität darstellten. Aber es bedurfte keiner gemischten Verbindungen, damit auch Frauen organisationell vertreten wurden, denn quasi mit Einführung des Frauenstudiums begannen die Studentinnen umgehend, sich in Frauenverbindungen zusammen zu schließen. Diese wurden zwar manchmal etwas distanziert betrachtet (man amüsierte sich über "Säbelweiber"), waren als Teil der Vertretung der Studenten in der Studierendenschaft aber akzeptiert und anerkannt. Es gab also sehr wohl auch für Frauen die Möglichkeit des korporativen Zusammenschlusses und der studentischen Vertretung. Dass die Frauenverbindungen rein zahlenmäßig eine Ausnahme blieben, ist kein Anzeichen für die Ablehnung von Frauenverbindungen, sondern "nur" ein Zeichen für die geringe Zahl an Studentinnen. Wirklich wesentlich änderte sich dieses erst nach dem 2. Weltkrieg, zumindest was die Zahl der studierenden Frauen anging.
Wo aber numerisch nur wenige Frauen studieren, bestehen auch numerisch nur wenige Verbindungen. Frauenverbindungen hatten also damals gar keine Chance, zahlenmäßig zu den Männerverbindungen aufzuschließen. Durch ihre geringe Zahl wiederum erscheinen sie daher als Ausnahmeerscheinung. Hinzu kam, dass die Verbindungen zu Beginn der 1920er gegenüber den Univeritäten das Mandat der "Vertetung der Studentenschaft" verloren und von den StuPas und AStAs abgelöst wurden. Die Verbindungen insgesamt verloren einen wichtigen Existenzgrund, und damit fiel auch ein weiterer Grund weg, systematisch neue Frauenverbindungen zu gründen.
Warum sich nach dem 2. Weltkrieg nur die Männerverbindungen wiedergründeten, die Frauenverbindungen aber nicht
Nach dem 2. Weltkrieg setzen zwei komplett - nur vordergründig - widersprüchliche Entwicklungen ein:
- Nicht nur die Anzahl an Frauen in der Studierendenschaft, sondern besonders deren Anteil wächst kräftig und stetig.
- Die Anzahl der (neu- und wiedergegründeten) Studentenverbindungen steigt auch - aber nur als reine Männerbünde. Frauenverbindungen entstehen nicht.
Was widersprüchlich klingt, ist jedoch im Grunde logisch.
Das Wiederentstehen des Verbindungswesens nach '45 war zunächst einmal eine Art Restauration, also Wiederherstellung der alten Bünde. Sie wurden vor allem von den Alten Herren vorangetrieben, nicht von den Studenten, auch wenn diese die die Angebote, die sich dadurch boten, gerne annahmen. Damit nach 1945 neue Verbindungen entstehen konnten, bedurfte es einer gewissen schon vorhandenen "Alt-Substanz": entweder war noch ein ausreichend großer Alt-Herren-Verband vorhanden, der die Wiedergründung vorantrieb, oder mehrere dieser Alt-Herren-Verbände fusionierten, um dies gemeinsam zu tun. Wirkliche "Neugründungen" (wie ausgangs des 20. Jahrhundert bei den "neuen" Frauenverbindungen) gab es faktisch nicht.
Und dass die früheren Frauenverbindungen nicht wiedererstanden, erklärt sich damit schlichtweg aus ihrer Vorkriegszahl und -größe: es war einfach keine Basis mehr vorhanden, aufgrund derer sich Frauenverbindungen hätten wiedergründen können.
Hinzu kam, dass In der (der Zukunft zugewandten) Studierendenschaft die Verbindungen nach und nach - und vor allem zunehmend ab den '68ern - an Reputation, Ansehen, Bedeutung und Notwendigkeit verloren. Rein strukturell-organisationell (insbesondere durch die Tatsache, dass sie nicht mehr die Vertretung der Studierendenschaft darstellten) waren sie einfach nicht mehr notwendig, und damit bestand auch keine Notwendigkeit, neue Frauenverbindungen zu gründen als Gegenentwurf zu den Männerverbindungen.
Warum erst ausgangs des 20. Jahrhunderts wieder Frauenverbindungen entstanden
"Notwendig" wurden sie tatsächlich erst ausgangs des 20. Jahrhunderts. Nachdem man den (männlichen) Verbindungen Jahrzehnte lang vorgeworfen hatte, dass sie sich durch "Seilschaften" einen Vorteil verschaffen würden, beschloss man ganz allgemein in der Gesellschaft, das "Networking" hipp sei und dass besonders Frauen davon profitieren könnten, wenn sie sich denn "vernetzen" würden. Und Verbindungen waren ein generell Beispiel für "Networking". Es wundert also kaum, dass jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Zahlen der Frauenverbindungen deutlich zu steigen beginnen. Verbindungen sind das Paradebeispiel für Netzwerke, und vor diesem Hintergrund wurden Frauenverbindungen notwendig und sind heute eine absolut zeitgemäße und moderne Organisationsform.
Warum erst nach '68 gemischte Verbindungen entstanden
Tatsächlich sind "Die '68er" auch das zentrale Scharnier, wenn es um die Entstehung von gemischten Verbindungen geht. Es bedurfte des gesetzlichen und gesellschaftlichen Wandels, um sie überhaupt möglich zu machen (siehe oben "Warum es keine gemischten Verbindungen gab"). Aber auch für sie galt, was für reine Frauenverbindungen galt: sofern sie nicht "notwendig" waren, hatten sie es auch schwer, sich durchzusetzen. Durchsetzen konnten sie sich nur in Bereichen,
- wo Frauen und Männer zumindest "thematisch" schon gemeinsam eingebunden waren (also im Bereich des Sports und in der Kultur),
- und unter den Verbindungen nur bei den nichtschlagenden Verbindungen; der Umgang mit dem Mensurschläger war für Männer und Frauen undenkbar.
Es verwundert daher überhaupt nicht, dass sich die größe Verbreitung gemischter Verbindungen in genau den beiden Dachverbänden widerfinden, die diese beiden Voraussetzungen erfüllen: dem Akademischen Turnbund (ATB) und dem Sondershäuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen (SV)
Ein Beispiel für eine solche Entwicklung sind die "Blauen Sänger", unsere Schwesterverbindung in Göttingen. Sie wurde 1860 als "Studenten-Gesangverein der Georgia Augusta" gegründet und war bis zu seiner Auflösung 1935 (bzw. auch von 1937 bis 1945 als Nachfolgeorganisation "Kameradschaft Schlageter") ein reiner Männerbund. Auch der Chor der Blauen Sänger war ein reiner Männerchor, weil er nur aus den Bundesbrüdern bestand und keine musischen Gäste hatte.
1951 entstand eine neue Aktivitas (als Männerbund) mit Chor und Orchester, die auch musische Gäste aufnahmen, also Sänger und Musiker, die nicht Mitglied der Verbindung waren, aber "als Gast" in den musischen Gruppen mitwirkten. Solche Gäste gab es zuvor nicht, und neu war auch, dass auch Frauen unter diesen musischen Gästen waren. Nicht neu war hingegen, dass die Frauen in den musischen Gruppen gleichberechtigt aggierten. Das war allgemein auch schon vorher in Chören und Orchestern üblich und so auch in den (neuen) Ensembles der Blauen Sänger.
Wirklich neu aber war, dass diese Frauen nun auch die Möglichkeit hatten, am Bundesleben der Blauen Sänger teilzunehmen - und auch begannen, dieses zu tun, auch wenn sie im engeren Sinne keine Mitglieder waren. Von da an bedurfte es nur noch eines kleinen Schrittes (und der gesellschaftlichen Entwicklungen Ende der 1960er), sie auch zu Mitgliedern zu machen, was die Blauen Sänger ab 1970 taten.
Und bei der Liubcia?
Wir wiederholen gerne noch einmal das eingangs Gesagte:
Für uns als Musische Verbindung Liubicia steht die kulturelle Betätigung im Zentrum unseres Bundeslebens. Sie ist zentraler Grund, warum wir uns zusammengefunden haben und immer wieder zusammenfinden. Und gerade im kulturellen Bereich macht eine Trennung nach Geschlecht, nach Religion, nach ethnischer Herkunft oder sonstigen Gründen keinen Sinn. Aus diesem Grunde ist die Frage, welche Identität ein Mensch hat, der bei uns dabei sein möchte, keine Frage, über die es sich für uns nachzudenken lohnt, weil es egal ist, welche Identität ein Mensch hat. Er*Sie ist ein Mensch und wir wollen per definitionem allen Menschen gegenüber aufgeschlossen sein.